BERNHARD ISMER

Heilpraktiker für Psychotherapie
Psychoonkologische Praxis

Erfahrungsbericht Holger M.

Hallo, mein Name ist Holger und ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Die nachfolgenden Episoden entstanden im Rahmen meiner Therapie bei Herrn Bernhard Ismer, den ich aufgrund massiver Angstprobleme im November 2004 aufsuchte. Diese Probleme trug ich seit ungefähr neun Jahren mit mir herum und hatte mich nun endlich durchgerungen, etwas dagegen zu unternehmen.

Nach der Trennung meiner Eltern wohnte ich bei meinem Vater. Alles begann mit einer ganz normalen Magen-Darm-Grippe. Nach meiner Genesung ging ich wieder zur Schule und hatte während einer Unterrichtsstunde in einem großen Raum plötzlich den Gedanken, dass, wenn mir jetzt schlecht werden würde, ich es nicht mehr bis nach draußen schaffe und mich somit im Raum vor allen Mitschülern übergeben müsste. Das wäre für mich richtig peinlich gewesen. Je mehr ich darüber nachdachte, umso übler wurde mir und ich hätte mich wirklich fast übergeben. Diese Gedanken kamen dann immer öfter und beherrschten bald meinen gesamten Tagesablauf. Diese Angstschübe waren mal stärker, mal schwächer oder auch für ein paar Tage ganz weg, aber im Prinzip stets an meiner Seite. Besonders extrem war es, sobald ich mich beim Essen in Gesellschaft von mehreren Personen befand. Dann konnte es passieren, dass plötzlich wieder ein Gefühl von großer Angst vor dem Erbrechen bzw. der Übelkeit aufkam, und ich hatte die Vorstellung, alle würden über mich lachen bzw. reden. In solchen Situationen wurde mir dann wieder wirklich schlecht, ich bekam Schweißausbrüche und es kam auch vor, dass ich mich dann wirklich übergeben musste. Man kann dieses Gefühl nicht richtig beschreiben, aber mir kam es dann vor, als würde sich alles um mich herum entfernen bzw. drehen. Ich begann die Menschen dafür zu hassen, dass sie sich amüsierten und fröhlich waren. Solche Situationen konnten aber auch einfach so im Alltag passieren. Gerade immer dann, wenn ich mir einbildete, es könne jetzt besonders peinlich vor anderen werden. Dies spitzte sich besonders bei Treffen mit Frauen zu, die ich im Begriff war kennen zu lernen. Als Schlussfolgerung daraus begann ich, solchen Situationen aus dem Weg zu gehen. Das bedeutete, mich von Freunden abzugrenzen, für längere Zeit nicht wegzufahren, nicht ins Kino und zu Konzerten zu gehen. Ständig war da die Angst vor engen Räumen. Auch in Gaststätten war mein erster Gedanke immer, wie ich im Notfall so schnell wie möglich zur Toilette komme, ohne dass jemand etwas merkt. Über die Jahre hatte ich, neben der Vermeidung solcher Situationen auch einige Strategien entwickelt, die aber im Notfall nur bedingt wirkten bzw. nach einiger Zeit ganz versagten. Zum Schluss hatte ich dann nur noch die Idee, wenn mein Magen leer ist, kann ich mich auch nicht übergeben. Also richtete ich es dann so ein, vor wichtigen Treffen und Situationen einfach nichts zu essen. Dies führte aber auf Dauer auch zu allgemeinem Unwohlsein und so richtig hatte ich dann zum Schluss keine Motivation mehr, überhaupt noch etwas zu machen. Selbst die Bewältigung des Alltags fiel mir dann manchmal schon sehr schwer. Dass ich mit solchen Problemen zu kämpfen hatte, ahnte niemand in meiner Familie und keiner meiner Freunde.

1. Sitzung:

Ich weiß nicht so recht, wie ich anfangen soll, aber ich schreibe jetzt einfach alles so auf wie ich es empfunden habe. Ich hatte an diesem Tag mein erstes Zusammentreffen mit Bernhard Ismer, einem Therapeuten aus Berlin, den ich auf Empfehlung meiner Mutter aufgesucht hatte. An diesem Tag waren wir um elf Uhr verabredet und ich war, für meine Verhältnisse, überpünktlich, so dass ich noch genug Zeit hatte, mir einen geeigneten Parkplatz zu suchen. Gegen die leichte Aufregung rauchte ich schnell noch eine Zigarette. Dann machte ich mich auf den Weg zur nahe gelegenen Wohnung. Als ich den Hausflur betrat, bot sich mir der Anblick eines typischen Berliner Altbaus. Mit schnellen Schritten ging ich ganz nach oben und drückte ohne lange zu überlegen die Klingel. Herr Ismer öffnete die Tür und wir stellten uns kurz vor. Anschließend gingen wir in das Therapiezimmer und machten es uns bei einem Glas Tee gemütlich. Wir hatten eigentlich von Anfang an keine Probleme, uns intensiv zu unterhalten und irgendwie war ich erleichtert als ich ihm erstmal mein Problem ausführlich schildern konnte. Daraufhin besprachen wir das Therapieziel und einigten uns auf einige organisatorisch Dinge, z.B. dass es mir angenehm wäre, wenn wir uns mit den Vornamen anreden würden. Ich stellte noch ein paar, mir wichtige, Fragen, worauf ich auch befriedigende Antworten erhielt. Dann fragte mich Bernhard, ob ich nicht gleich meine erste Sitzung machen wolle, worauf ich sofort einwilligte. Ich legte mich also auf eine Matratze und machte es mir bequem. Nach einer kurzen Entspannungsphase, unterstützt durch Musik, betrat ich dann in meiner Vorstellung eine steile Holztreppe, die nach unten zu einer Tür führte. Anfangs gingen mir dabei tausend Sachen durch den Kopf und ich war ein bisschen aufgeregt, was nun passieren würde. Als ich unten ankam, sah ich eine massive Holztür mit Eisenbeschlägen. Um diese Tür befand sich ein Rahmen, welcher aber nirgends verankert war, sondern einfach nur in einer Leere stand. Um den Rahmen herum und zwischen den Türspalten hindurch schien ein helles Licht. Bernhard machte mir nun ein paar Vorschläge durch diese Tür hindurch oder vielleicht auch um diese Tür herum zu gehen, um zu sehen, was sich dahinter befindet. Dies gelang aus mehreren Gründen nicht sofort und ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ich dann doch in diesem Raum stand und erst einmal nur ein helles gelbes Licht wahrnahm. Dieses Licht wurde dann schwächer und man konnte eine alte Bauernküche mit allen drum und dran erkennen. Mit Unterstützung von Bernhard sah ich mich dann weiter in dieser Küche um und beschrieb ihm meine Eindrücke. Daraufhin ging ich zum Kamin und nutzte die vorhandene Glut, um ein kleines Feuer zu entfachen. Ich setzte mich an einen großen, massiven Holztisch und beobachtete, wie mein Schatten sich an der Wand bewegte. Bald darauf kamen einige gute Freunde von mir herein mit Bierflaschen in der Hand und setzten sich ebenfalls zu mir an den Tisch. Dort tranken wir gemütlich unser Bier und rauchten Zigaretten. Die Stimmung war wirklich entspannt. Auf Vorschlag von Bernhard verließ ich die Küche und machte mich wieder auf den Weg über die Treppe nach oben. Durch mehrere Gongschläge von Bernhard erwachte ich in der realen Welt und fühlte mich, als ob ich ein Schläfchen vor dem Fernseher gemacht hätte. Ich war erstaunt, wie viel Zeit vergangen war. In dem folgenden kurzen Gespräch schilderte ich mein Befinden, das ausgesprochen gut war. Wir verabschiedeten uns und ich machte mich voller Elan auf den

Heimweg.

2. Sitzung:

Nach einigen Schwierigkeiten kam ich an diesem Dienstag mit leichter Verspätung gut in Berlin an. Nach einem kurzen Gespräch und einem Glas Tee machte ich es mir wieder auf der Matratze bequem. Während der Entspannungsphase musste ich ständig an andere Sachen denken und kam nur schwer zur Ruhe. Anschließend stieg ich dann vor meinem geistigen Auge erneut eine Treppe hinunter. Nur diesmal war unten eine einfache weiße Bürotür. Als ich diese einen Spalt öffnete, sah ich einen Teil von einem ganz normalen Büro mit Schreibtisch, Computer usw. An diesem Schreibtisch saß Annegret, die derzeitige Lebensgefährtin meines Vaters, und blickte verträumt in eine Ecke. Niemand schien mich wahrzunehmen und ich überlegte, ob ich weiter diesen Raum betreten sollte. Letztendlich entschloss ich mich dazu, aber Annegret schien nicht zu reagieren. Auf Bernhards Vorschlag, sprach ich sie dann an und wollte von ihr wissen, ob sie damals der Grund für die Scheidung meiner Eltern war. Dabei war ich höflich wie immer. Aber Annegret schien es plötzlich ziemlich eilig zu haben und machte einen genervten Eindruck. Daraufhin schlüpfte ich kurz in ihre Person und hatte das Empfinden, unschuldig zu sein. Ich, jetzt in Annegrets Körper, verwies mich, Holger, an meinen Vater. Damit gab sich Holger zufrieden und man verabschiedete sich höflich, worauf Annegret wieder bessere Laune bekam. In meinem eigenen Körper wieder zurück, schlug Bernhard ein Treffen mit meinem Vater vor, um diese Sache mit ihm persönlich zu klären. So geschah es dann auch und ich saß mit meinem Vater in meiner Wohnung auf der Couch. Ich hatte dann aber nicht den Mut, ihn direkt zu fragen. So machte Bernhard den Vorschlag, eine Kopie dieser Situation zu machen. Somit bestand die Chance, in dieser Kopie ohne Risiko alle Fragen zu stellen. Denn das Original blieb mir ja jederzeit erhalten. Das gab mir Sicherheit. Also stellte ich meinem Vater in der Kopie Fragen zu den Scheidungsgründen. Mein Vater versuchte zunächst mit allgemeinen Floskeln die Sache herunter zu spielen. Bei seinen Erklärungsversuchen hörte ich aber keine Stimme, sondern musste an Hand seiner Bewegungen erkennen, was er meinte. Letztendlich saß er dann wie ein Häufchen Unglück im Sessel und fing an zu weinen. In diesem Moment kamen auch mir die Tränen und ich musste mich einfach neben ihn setzen und ihn umarmen. So saßen wir dann eine ganze Weile und ich verließ dann auf Vorschlag von Bernhard das Zimmer. Als ich noch einmal zurück blickte, saß mein Vater immer noch im Sessel. Er hatte sich jetzt etwas beruhigt und strich sich mit der Hand durch den Bart um zu überlegen. Dieses Bild beruhigte mich dann etwas und ich verließ, wieder mit Hilfe des Gongs, dieses Zimmer und kam dann über die Treppe wieder in der realen Welt an. Diese Sitzung hinterließ einen starken Eindruck bei mir. Ich war über den Ausgang erleichtert. Wir verabschiedeten uns und ich verließ, durchströmt von vielen Gedanken, wieder Berlin.

3. Sitzung:

Auch an diesem sonnigen Freitagvormittag fand ich recht zügig nach Berlin. Beim obligatorischen Tee teilte ich Bernhard eine wichtige Neuigkeit mit. Seit Wochenmitte hatte ich eine neue Freundin und war daher sehr zufrieden. Nach einem kurzen Gespräch begannen wir die Sitzung, in der es vorrangig um einen Ausflug in meine Kindheit gehen sollte. Nach der typischen Vorbereitungsphase ging es dann auch gleich los. Statt einer Tür erwartete mich diesmal ein Rosenbogen, der mir sehr bekannt vorkam. Als ich näher hinsah bemerkte ich, dass ich mich auf dem Hof meiner Oma befand, bei der ich als Kind regelmäßig zu Besuch war. Ich blickte vorsichtig durch den Rosenbogen und betrat dann den angrenzenden Hof. Dort lief ich zügig Richtung Grundstücksgrenze um auf dem angrenzenden Kornfeld einen Traktor zu beobachten, der gerade angefahren kam. Ich weiss jetzt nicht mehr genau aus welcher Situation heraus, aber auf einmal stand ich als Kind neben mir, und wir sahen gemeinsam dem Traktor bei der Ernte zu. Während dieser von einem Mähdrescher beladen wurde, stand ich mit dem kleinen Holger, der mich an einer Hand anfasste, am Zaun. Ich beantwortete dem kleinen Holger seine Fragen. So standen wir dort eine Weile und als der Traktor voll beladen losfuhr gingen wir noch ein Stück auf unserer Seite des Zauns in seine Fahrtrichtung mit, bis er dann abbog und langsam am Horizont verschwand. Daraufhin wollte ich wieder auf den Hof zurück, aber der kleine Holger stand immer noch am Zaun und hoffte wohl, dass der Traktor wieder zurückkommt. Unter leichtem Protest kam er dann aber mit mir zurück. Plötzlich hatte ich einen großen Fisch auf meinem Arm, der auf der Seite lag. Ich kniete mich auf den Boden, um dem kleinen Holger diesen Fisch zu zeigen. Er berührte den Fisch mehrmals mit dem Finger, um zu sehen ob er noch lebt. Auf Vorschlag von Bernhard wechselte ich die Position vom erwachsenen zum kleinen Holger. Ich als Kind versuchte durch kräftiges Rütteln den Fisch wieder zu beleben. Als das nicht ging, fragte ich den erwachsenen Holger, ob wir den Fisch nicht ins Wasser setzen können. Dieser überlegte kurz, schaute sich um und entdeckte eine alte Zinkbadewanne. Diese Wanne hatte meine Oma im Sommer immer draussen zum Baden aufgestellt. Als der große Holger dort weiter hinsah, lag der Fisch in seinen Armen nun nicht mehr auf der Seite, sondern so als ob er schwimmt und er schaute ebenfalls in Richtung Wanne. Ich war jetzt plötzlich wieder im Körper des großen Holgers und ging geradezu zur Wanne. Dort angekommen setzte ich den Fisch ins Wasser. Leicht versetzt hinter mir stand der kleine Holger und beobachtete die Situation ganz vorsichtig. Wir sahen, wie der Fisch auf einer Stelle immer gegen den Wannenrand schwamm. Der kleine Holger fragte mich, ob wir den Fisch nicht in einen richtigen See setzen wollten. Daraufhin drehte sich auch der Fisch plötzlich um und legte seinen Kopf auf den Wannenrand. Es sah so aus, als wolle er uns um etwas bitten und ich konnte mir gut vorstellen, was das war. Also ging ich mit dem kleinen Holger auf dem linken Arm und dem Fisch unterm rechten Arm, zielstrebig Richtung Grundstücksgrenze. Auf dem angrenzenden Feld befand sich nämlich ein mittelgroßes Wasserloch, das durch Regen gefüllt und von Gras umgeben war. Wir gingen über das Stoppelfeld zu diesem Wasserloch. Dort angekommen überlegten wir, wie wir am besten ans Wasser gelangen könnten. Der kleine Holger zeigte mit seinem Finger auf eine Stelle, die sich links von uns befand. Zielstrebig delegierte er uns dort hin. Auf dem Weg zum Wasser hin stand ich bereits bis zu den Oberschenkeln im Morast und hatte Mühe, den kleinen Holger festzuhalten. Als wir endlich das Wasser erreichten, ließ ich den Fisch langsam hinein gleiten. Wir sahen zu, wie er langsam Richtung Mitte schwamm. Zufrieden machten wir kehrt und mit einiger Anstrengung gelang es mir, uns wieder heil aus dem Morast heraus zu bringen. Als wir wieder festen Boden unter den Füssen hatten, setzte ich den kleinen Holger ab. Hand in Hand gingen wir wieder Richtung Hof, wobei der kleine Holger freudig auf und ab hüpfte, während ich mich langsam von der Anstrengung erholte. Mit diesem Bild kehrte ich langsam wieder in die reale Welt zurück und unsere Sitzung endete mit einem kurzen Gespräch. Nachdenklicher als sonst machte ich mich auf den Heimweg.

Anhang zur 3. Sitzung:

Nach dem Schreiben dieser Zeilen fiel mir plötzlich ein Ereignis aus meiner Kindheit ein, das ich eigentlich schon glaubte vergessen zu haben. Das oben erwähnte Wasserloch gibt es nämlich wirklich. Als Kind war es mir verboten, dort näher heranzugehen. Trotzdem zog ich einmal die Gummistiefel meines Opas an, die mir natürlich viel zu groß waren, und ging zu diesem Wasserloch. Als ich versuchte, näher an das Wasser zu gelangen, merkte ich plötzlich, wie ich immer weiter im Morast einsank. Unter Todesangst versuchte ich, verzweifelt wieder heraus zu kommen, aber es gelang mir nicht. Je mehr ich mich bewegte, desto tiefer sank ich ein. Auch auf meine Hilferufe reagierte niemand. Ich dachte, im Morast versinken zu müssen. Irgendwie gelang es mir, aus den viel zu großen Gummistiefel heraus zu schlüpfen. Schreiend rannte ich auf Socken in Richtung Hof zurück. Ich weiß nicht mehr genau, wer es war, aber jemand kam mir entgegen und nahm mich auf den Arm, um mich zu trösten. Mein Opa ging später noch einmal zum Wasserloch, um seine Gummistiefel zu holen.

4. Sitzung:

Nach einem turbulenten Morgen fuhr ich an diesem Montag mal wieder nach Berlin. Pünktlich angekommen hatte ich erst einmal genug vom Wochenende zu berichten. Daraufhin folgten einige organisatorische Absprachen und schon konnte es wieder losgehen. Auf meinen Vorschlag hin wollten wir uns, wie auch schon in der vergangenen Sitzung, wieder mit meiner Kindheit beschäftigen. Es begann diesmal damit, dass ich komplett in schwarz gekleidet und in meinem jetzigem Alter, wieder bei meiner Oma vor dem Rosenbogen stand. Ich schaute mich um, konnte aber niemanden entdecken, was mich ein bisschen wunderte. Auf den Vorschlag von Bernhard hin begab ich mich wieder Richtung Wasserloch, um nach dem Fisch zu sehen. So richtig kam ich aber diesmal nicht in Bewegung, ja man konnte schon fast sagen, ich ging widerwillig dorthin. Um mich herum schien es dunkel zu werden, so als ob die Sonne untergeht. Deshalb kehrte ich, bevor ich überhaupt den Grundstückszaun erreicht hatte, wieder um und bemerkte noch, wie ein heftiger Wind aufkam, was man daran sah, dass die Bäume sich stark bewegten. Nun lief ich ein bisschen auf dem Hof herum und entdeckte plötzlich eine Steinplatte in der Erde. Als ich diese ein bisschen vom Sand befreit hatte, fiel mir auf, dass es sich anscheinend um eine Art Grabstein handelte. Dieser war rötlich marmoriert und mit goldenen Buchstaben versehen, die für mich allerdings keinen Sinn ergaben. Meine Oma erschien auf der Bildfläche, allerdings mit dem Aussehen von der Zeit als ich Kind war, also bedeutend jünger als jetzt. Dies sah man auch daran, dass sie keine Brille trug. Jedenfalls kam sie aus dem Haus und trocknete sich dabei ihre Hände mit einem grünweiß karierten Geschirrhandtuch ab, so als ob sie gerade etwas abgewaschen hätte. Dann setzte sie eine Brille auf, die ich noch nie bei ihr gesehen hatte und die meiner Brille verdammt ähnlich sah. Mit dieser Brille musterte sie mich von oben bis unten und es sah aus, als ob sie etwas auf meinem Gürtel zu lesen versuchte. Nach einem kurzen, aber nicht gerade verwandtschaftlichen Gespräch zeigte ich ihr die Bodenplatte von vorhin und fragte nach ihrer Bedeutung. Meine Oma ging aber gar nicht darauf ein, sondern lief mit vorgestreckten Armen zügig in Richtung Hof. Ich ging daraufhin genau in die andere Richtung und so trennten sich unsere Wege wieder. Als ich im Stall angekommen war, bot sich mir ein vertrautes Bild und auf meinem Weg durch die Wohnung konnte ich ebenfalls nichts Auffälliges feststellen. In der Wohnstube sah ich meinen Opa wie ich ihn als Kind kannte, mit verschränkten Armen und freundlichem Gesichtsausdruck in seinem Sessel sitzend. Mit der alten Vertrautheit begrüßte ich ihn und setzte mich in den anderen Sessel, um mich mit ihm zu unterhalten. Wir unterhielten uns dann auch angeregt, mein Opa lachte dabei oft, auch als ich ihn noch mal nach seinen Gummistiefeln fragte, was er wohl ebenfalls recht amüsant fand. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich ihn noch nach dem Fisch fragte, wenn ja gab er mir aber keine Antwort, und so verließ ich dann wohl wieder das Haus, um nach dem Fisch zu sehen. Am Wasser angekommen sah ich den Fisch scheinbar leblos auf der Seite schwimmen. Als ich so hinblickte, drehte er sich noch einmal kurz auf die andere Seite, als wolle er noch ein letztes Mal auf sich aufmerksam machen. Auf einmal hatte ich nur noch diesen Bildausschnitt vom Fisch vor mir, wie er im schwarzen Wasser schwamm. Dann sah ich meine ausgestreckten Hände vor mir, die direkt über dem Fisch waren und nach ihm griffen. Ich nahm also den Fisch und setzte ihn in ein großes fließendes Gewässer, wo er genug Platz zum Schwimmen hatte. Während dieses Vorgangs schien er sich in verschiedene Formen bzw. Tierarten zu verwandeln. So hatte er zum Beispiel mal Stacheln wie ein Igel oder wurde zum Seepferdchen. Alle diese verschiedenen Tiere hatte ich somit auf einen Schlag befreit. Als ich mich kurz umsah, war auf einmal eine ganze Armee von verschiedensten Tieren Afrikas hinter mir mit einem Zebra als Anführer. Auch sie wollten, so verstand ich jedenfalls ihre fordernden Blicke, von mir umgehend gerettet werden. Und das tat ich dann auch. Es liefen also eine Menge Tiere, hauptsächlich Zebras, an mir vorbei in die Freiheit. Dieser Anblick stellte mich sehr zufrieden. Ich fühlte mich ein bisschen wie Gott. Auch sah ich kurz eine weiße Kuh, die gemütlich Gras kaute und sich daraufhin in eine Ziege verwandelte. Nach diesem Abenteuer war ich dann wieder auf dem Hof und sah meinen Opa, die Hände auf dem Rücken verschränkt, spazieren gehen. Dabei wechselten sein Alter bzw. seine Kleidung, insbesondere seine Kopfbedeckungen, so als würde man sich ein Fotoalbum ansehen. Zwischendurch erschienen auch einfach nur Standbilder, die wie Gemälde aussahen, wobei sich aber ebenfalls das Alter von jung zu alt änderte. Zum Abschluss stand er dann, mit einem Fuß auf einen Stein gestützt, auf dem Hof. Ich hatte den Eindruck, als würde er noch einmal stolz sein Lebenswerk betrachten. Bernhard frage mich, ob mein Opa noch lebt und ich verneinte. Daraufhin ließ ich noch einmal seine Beerdigung, die ca. anderthalb Jahre zurück lag, Revue passieren. Der traurigste Moment damals war für mich, als man Ausschnitte aus seinem Leben erzählte, in denen auch ich kurz vorkam. Das waren zum Beispiel die zahlreichen Angelausflüge bzw. Wanderungen, die wir gemeinsam erlebt hatten. Schon die Erinnerung daran machte mich sehr traurig und ich schwor mir, nie wieder auf eine Beerdigung zu gehen. Auf Bernhards Vorschlag hin, bedankte ich mich bei meinem Opa für alles. Er reichte mir die Hand und nickte freundlich. Dann ging er eine schmale, steile weiße Steintreppe hinauf, an deren Ende sich ein Schiebetor befand, aus dem helles weißes Licht strahlte, als es sich langsam öffnete. Ich winkte ihm noch einmal zum Abschied und er verschwand langsam in diesem Licht. Mit diesem Bild vor Augen kehrte ich in die reale Welt zurück. Auch diese Sitzung endete für mich mit vielen Fragezeichen im Kopf. Nichtsdestotrotz trat ich zügig die Heimreise an.

5. Sitzung:

Nach nur vier Stunden Schlaf, bedingt durch die vorherige Nachtschicht, fuhr ich gegen zwölf Uhr wieder in Richtung Berlin. Diesmal hatte ich Glück, jedenfalls war ich pünktlich um dreizehn Uhr dort und fand auch sofort einen Parkplatz. Nach einem kurzen Bericht meinerseits über die vergangene Woche kam ich zu dem Schluss, dass die letzten Sitzungen allgemein zu einem ersten positiven Ergebnis geführt hatten. Deshalb wollten wir diesmal eigentlich eine tiefergehende Entspannung durchführen, die das Ganze noch zusätzlich unterstützen sollte. Dies verwarfen wir jedoch. Stattdessen zeigte mir Bernhard, auf meinen Wunsch hin, eine Strategie, mit der es mir möglich sein sollte, Angstsituationen sofort im Ansatz zu bekämpfen. Dazu hatte er eine interessante Theorie über den Zusammenhang zwischen Körperhaltung und Gefühlen und deren Wechselwirkung. Auf jeden Fall schrieb ich sieben Erinnerungen auf einen Zettel, die für mich mit einem positiven Gefühl verbunden sind. Dabei handelte es sich zum Beispiel um die sehr schönen Angelausflüge mit meinem Opa, mein erstes eigenes Auto, meinen ersten Auftritt mit einer Band, die berufliche Kehrtwende, die vergangene Russlandtour mit der jetzigen Band, das Einschlafen nach einer Nachtschicht mit meiner Exfreundin, und das vergangene Frühstück mit meiner jetzigen Freundin. All diese Erinnerungen wurden mir dann von Bernhard in einer festgelegten Reihenfolge wieder ins Gedächtnis gebracht. Zusätzlich sollte ich diese mit einer bestimmten Geste unterstützen. In meinem Fall war das meine geballte linke Hand. Anders ausgedrückt, ich stellte mir die Situation vor und ballte dann die linke Hand. Zwischen den einzelnen Erinnerungen standen wir auf und gingen zum Fenster um uns über ein paar allgemeine Wünsche bzw. Vorstellungen zu unterhalten. Danach setzten wir uns immer wieder hin und es ging weiter bis wir alle sieben Erinnerungen behandelt hatten. Im Grunde genommen war danach die Sitzung eigentlich schon beendet und ich fuhr, ehrlich gesagt, mit einem skeptischen Gefühl wieder nach Hause.

Da dieser Bericht der 5. Sitzung wesentlich kürzer ist als die vorangegangenen, möchte ich noch kurz eine Situation anfügen, die sich noch am selben Tag ergab. Nach meiner Ankunft zu Hause und einem kurzen Nickerchen auf der Couch rief mich am Abend meine Freundin an und fragte, ob ich nicht zu einem Restaurant komme wolle, das sie jetzt mit ihrer Cousine aufsuchen wollte. Ich stimmte natürlich erst einmal zu, obwohl bei mir im Kopf gleich wieder eine Alarmglocke bezüglich der Angst anging. Dieses Gefühl vergaß ich aber erstaunlich schnell und machte mich sogar freudig auf den Weg. In der Gaststätte angekommen wollten die anderen natürlich etwas essen. Ich war aber sozusagen aus dem Schneider, denn ich hatte am Nachmittag bereits sehr üppig gegessen und war wirklich noch satt. Also kam ich erst gar nicht in die Angst machende Situation, gemeinsam mit anderen öffentlich zu essen. Trotzdem spürte ich auf einmal wieder dieses Gefühl hoch kommen und ich wollte schon auf die gelernte Strategie zurückgreifen und die linke Hand zur Faust ballen. Doch schon bei dem Gedanken an diese Strategie und deren Anwendung ging es mir besser. Der Abend verlief wirklich super. Sollte tatsächlich schon der bloße Gedanke geholfen haben? Ich war auf jeden Fall davon überzeugt und so konnte ich die nächsten Tage beruhigt auf mich zukommen lassen.

6. Sitzung:

An diesem sonnigen Freitagvormittag fuhr ich wieder mal nach Berlin. Pünktlich angekommen, sprachen wir noch kurz über einige Sachen, u.a. meine Schandtaten aus der Kindheit, und schon begann die Sitzung. Diesmal, das muss ich zugeben, wäre ich bei der Entspannungsphase fast eingeschlafen, konnte mich aber gerade noch bis zur "geistigen Treppe" retten. Sie hatte diesmal die Form einer Wendeltreppe, die aus massivem Holz bestand und rustikal aussah. Auf dem Weg nach unten, schien diese Treppe dann immer steiler zu werden bzw. die Stufen immer kleiner, sodass ich mich am Geländer festhalten musste. Dies gelang mir nur eine bestimmte Zeit. Dann kam ich mehr und mehr ins Rutschen. Schließlich sah ich mich von oben in einem schwarzen Strudel versinken. Dann war alles schwarz um mich herum und kurze Zeit später befand ich mich auf einer anderen Treppe. Diese war typisch für einen Neubaublock, wie ich ihn von früher her kannte. Ich saß nur einfach so da und nach einer Weile schaute ich dann zwischen dem Geländer nach unten, ob nicht jemand kommen würde. Es war aber niemand zu sehen und so schaute ich nach oben, wo ein Dachfenster, durch das Licht herein fiel, zu sehen war. Dann entschloss ich mich, nach unten zu gehen, aber mit jedem Schritt, den ich machte, schien ich körperlich zu schrumpfen, sodass die Stufen für mich bald unüberwindbar wurden und ich mich schon wieder am Geländer festhalten musste. Bald verschwand ich wieder in einem schwarzen Loch. Als ich dann in einem schwarzen Raum wie schwerelos schwebte, erschien mir ein alter, grauhaariger Mann mit weißem Umhang und weißem Hut. Er hatte einen Wanderstock und kam mir wie ein Zauberer vor. Er schien mir etwas erklären zu wollen, kam mir zunächst sehr weise und erfahren vor und schien allgemein für das Gute an sich zu stehen. Dann sah ich nach oben und dort war, am Ende einer Röhre, eine Öffnung zu erkennen, über die eine Filmrolle, Bild für Bild, abgespult wurde. Aus einem Bild fiel ein grüner "Comicdrache" heraus und flog direkt auf uns zu. Er machte zunächst den Eindruck, besonders böse aussehen zu wollen, wahrscheinlich um seinem Ruf gerecht zu werden. Das heisst, er flog mit gefletschten Zähnen weiter direkt auf uns zu, was für mich aber eher lustig aussah. Dann kam er bei uns an, und stellte sich neben den Zauberer. Die Rollenverteilung schien klar zu sein: Zauberer gleich Gutes, Drache gleich Angst. Plötzlich begann der Drache zu tanzen und sah auf einmal gar nicht mehr so böse aus. Im Gegenteil, je mehr er sich bewegte, desto so lustiger sah er aus. Der Zauberer und ich starrten ihn dabei die ganze Zeit ungläubig an und waren ratlos. Vor allem der Zauberer schien mit dieser Situation gar nicht zurecht zu kommen. Schließlich war er ja für die guten Sachen zuständig. Ich schlüpfte in die Rolle des Drachen und sah dann beim Tanzen, wie verwirrt und hilflos der Zauberer mich ansah. Das motivierte mich aber erst recht und so tanzte ich mit verschränkten Armen eine Art russischen Volkstanz. Dabei bewegte ich mich im Kreis auf einer Stelle. Der Zauberer fasste sich daraufhin mehrmals mit der Hand an den Kopf und wurde immer verzweifelter, auch seine Kleidung wurde immer dreckiger und abgenutzter und hatte sogar schon Löcher. Er flehte mich an, endlich aufzuhören. Ich aber machte munter weiter. Alles weitere beobachtete ich dann wieder aus einer neutralen Position. Der Zauberer schien jetzt richtig wütend zu werden, konnte aber gegen den tanzenden Drachen nichts ausrichten. Dieser ließ sich auch nicht stören und tanzte munter weiter. Als der Zauberer immer wütender wurde, verwandelte er sich plötzlich in eine alte Hexe und fluchte. Der Drachen ließ sich auch davon in keinster Weise einschüchtern. Im Gegenteil, er tanzte noch mehr. Daraufhin fiel die Hexe immer mehr in sich zusammen und legte sich auf den Boden um zu schlafen. Auf einmal sah sie auch nicht mehr wie eine Hexe aus, sondern wie eine liebe nette Oma mit Knollennase, die friedlich auf der Seite lag und schlief. Holger stand ungläubig daneben. Der Drache hörte auf zu tanzen und sie schauten sich beide an. Ich weiß jetzt nicht mehr genau was sie redeten, aber beide schienen irgendwie glücklich zu sein. Der Drache drehte sich um, winkte noch einmal und flog mit einem Riesensprung in Richtung Röhrenöffnung, wo er wieder in der Filmrolle verschwand. Ich bedankte mich als Holger noch mal bei ihm und kehrte mit diesem Bild wieder in die reale Welt zurück. Dort angekommen hatte ich Mühe mich zu sammeln und überlegte mir die verschiedensten Theorien für das Erlebte. Nichtsdestotrotz fuhr ich munter durch die frische Winterluft wieder Richtung Heimat.

7. Sitzung:

Nach einer wunderbaren Nacht mit meiner Freundin fuhr ich an diesem Mittwochvormittag wieder mal nach Berlin. Fast pünktlich und nach einer unfreiwilligen Begegnung mit einem anderen Verkehrsteilnehmer saß ich dann kurz nach elf Uhr in der Praxis von Bernhard und erzählte ihm von den zurückliegenden Ereignissen. Diese waren durchaus turbulent, denn ich hatte es wieder mal geschafft, innerhalb kürzester Zeit mit zwei Frauen einen sehr innigen Abend zu verbringen.

Ich machte ich es mir bequem und eine neue Sitzung konnte beginnen. Diese sollte als eine Art Verabschiedung bzw. Danksagung an alles bisher in den Sitzungen Erlebten diene. Ich ging also nach der üblichen Entspannungsphase erneut eine Treppe hinunter. Sie sah wie eine alte, flache Steintreppe aus, wie man sie in Burgen und Schlössern findet. Unten angekommen betrat ich einen großen Festsaal, der mit allerlei Gold und alten Gemälden verkleidet war. An den großen Fenstern hingen rote Samtgardinen. In dem Saal befand sich eine große Festtafel, die, vom Eingang aus gesehen, wie ein umgedrehtes U ausgerichtet war. Es waren allerdings nur drei Plätze eingedeckt, während der Rest der Tafel nur mit einer weißen Tischdecke bedeckt war. An diesen drei Plätzen saßen: der Drache, der Zauberer und der Fisch, der sich hochkant, mit der Schwanzflosse unten, auf seinem Stuhl saß. Der Drache hatte einen königlichen Umhang um und eine Krone auf dem Kopf. Ich betrat also den Saal mit zwei "Sechserträgern" Bier unterm Arm, was die Anwesenden sehr erfreute. Und so goss sich jeder sein Bier ein und wir stießen an. Ich setzte mich dann zu den anderen an die Stirnseite der Tafel. Dann fuhr meine neue Band auf einer Art rollenden Plattform in die Mitte des Saales und fing mächtig an zu rocken. Ich gesellte mich dazu und wir spielten gemeinsam einen Song. Die Anwesenden waren begeistert, wobei der Zauberer etwas verhaltener war als die anderen. Es war wohl nicht seine Musikrichtung. Der Schlagzeuger stand von seinem Platz auf, kam zu mir und legte, während ich alleine weiter spielte, seinen Arm um mich. Mit der anderen Hand zeigte er auf mich und sagte stolz: "Seht her Leute, dass ist unser neuer Gitarrist". Das gab natürlich Extraapplaus von den Anwesenden, wobei sich der Drache mit Hilfe einer Rassel besonders ins Zeug legte. Nun betrat der kleine Holger den Saal. Er stand dann plötzlich Hand in Hand mit dem großen Holger und betrachtete neugierig das Geschehen. Der große Holger setzte ihn an die Stirnseite der Festtafel und der kleine Holger bestaunte die Anwesenden, während er ungläubig immer wieder an die Nase des Drachen fasste. Daraufhin nahm er sich einen Spritzkuchen und aß ihn, zufrieden mit den Beinen schaukelnd, auf. Der große Holger dagegen hatte eher eine Zuschauerrolle und stand ein wenig abseits mit verschränkten Armen an eine Säule gelehnt, wobei er durchaus zufrieden aussah. Er schien alles noch einmal Revue passieren zu lassen. Das einzig Auffällige an ihm war, dass er noch lange Haare trug, die ich eigentlich schon vor ca. einem Jahr abschneiden ließ. Die Band spielte unermüdlich weiter und auch der Rest der Anwesenden schien sich köstlich zu amüsieren. Zum Schluss bedankte ich mich erst einmal bei der Band, die sich daraufhin verneigte. Dann dankte ich allen anderen Anwesenden, während wir noch einmal die Gläser erhoben und anstießen. Mit diesem Eindruck kehrte ich wieder in die reale Welt zurück, in der ich mich dann sehr entspannt und glücklich noch kurz mit Bernhard austauschte. Gelöst fuhr ich nach Hause, allerdings nicht, ohne vorher bei einer namhaften Imbisskette anzuhalten und mit Genuss ein paar Cheeseburger mit Pommes und eine große Cola zu mir zu nehmen.

8. Sitzung:

An diesem Montagvormittag fuhr ich zum letzten Mal in diesem Jahr nach Berlin. Mit leichter Verspätung traf ich gegen elf Uhr ein. Wir setzten uns und ich erzählte wieder mal von den vergangenen Erlebnissen. Dazu muss ich diesmal etwas weiter ausholen, da es sich dabei um eine Art Abschlussprüfung handelte.

Am Freitag zuvor fand nämlich eine Weihnachtsfeier mit meinen Kollegen statt. Geplant war, in einer Gaststätte schön zu essen und ein bisschen zu feiern. Aber genau das war ja mein Problem, das Essen in Gesellschaft. Also machte ich mich, trotz guter Vorbereitung in den letzten Therapiesitzungen, am Freitagabend mit gemischten Gefühlen auf den Weg zu dieser Feier. Dort angekommen hatte ich einen Platz neben meinen Kollegen am Ende einer langen Tafel. Wir warteten ungefähr eine gute Stunde auf unser Essen, das nach und nach eintrudelte. Eigentlich war ich mit einem Hungergefühl dort hingefahren, aber als ich die relativ große Portion auf meinem Teller sah, begann schon wieder das alte Angstgefühl in mir hoch zu steigen. Ich ließ mir aber wie immer nichts weiter anmerken, und fing zügig an zu essen. Mit der Zeit wurden meine Happen immer kleiner und die Gedanken an die Angst immer stärker. Mittlerweile schnitt ich sogar die Pommes noch einmal in der Mitte durch. Zu allem Übel war auch noch mein Getränk alle und es dauerte ewig bis ich ein neues bekam. In dieser Zeit wollte das Essen gar nicht mehr rutschen. Zwischendurch, wenn die Gedanken am heftigsten waren, machte ich eine kurze Pause, legte das Besteck weg und tat so, als ob ich mir den Mund abwischen müsste. Dann probierte ich die Strategie des Faustballens aus. Erstaunlicherweise ging die Angst weg und ich konnte für kurze Zeit weiter essen. Diese Prozedur wiederholte ich dann noch ein- oder zweimal. Dann entschied mich, die Hälfte meiner ursprünglichen Portion, auf dem Teller zu lassen. Ich tat so als ob ich satt wäre und es schien auch keinen weiter zu interessieren. Ich war erleichtert. Im Vergleich zu früheren Situationen hatte ich es diesmal geschafft, trotz der Angst nicht vom Tisch aufzustehen. Der Rest des Abends verlief dann eigentlich nach Plan, wobei immer wieder ein kleines Angstgefühl hochkam, das aber schnell wieder verschwand.

Mit diesem für mich bereits positivem Ergebnis machte ich mich dann einen Tag später wieder auf zu einem gemeinsamen Essen mit Freunden. Diesmal in einem chinesischen Restaurant. Die Gruppe war viel kleiner, aber die Ausgangsposition war die gleiche wie am Vorabend. Der einzige, aber vielleicht entscheidende Unterschied, lag darin, dass es hier keine fertigen Portionen gab, sondern wir uns am Buffet bedienen konnten. Somit hatte ich die Möglichkeit, mir eine relativ kleine Portion zu nehmen. Das tat ich dann auch und hatte somit keine Mühe aufzuessen. Dadurch ermutigt ging ich erneut zum Buffet und holte mir noch eine Portion. Auch bei dieser hatte ich keine Probleme, musste nicht einmal das Faustballen einsetzen. Später aß ich sogar noch ein kleines Eis. Ich war zufrieden mit diesem Abend. Er war noch mal eine positive Steigerung zum Vorabend.

Nachdem ich Bernhard das alles berichtet hatte, saßen wir noch eine ganze Weile zusammen, tranken Tee und unterhielten uns. Dabei wurde mir noch einmal die Entstehung meiner Angst bewusst. Anfangs hatte ich gedacht, es wäre eine Art Strafe, weil ich meine Mutter nach der Scheidung mehr oder weniger im Stich gelassen hatte. Ich blieb bei meinem Vater. Wäre ich mit ihr weggezogen, hätte theoretisch die eingangs beschriebene Situation gar nicht erst entstehen können. Aber nun schien sich ja alles zum Guten gewendet zu haben. Sollte es das tatsächlich schon gewesen sein? Es sah ganz so aus und nach diesem positiven Resümee verabschiedeten wir uns und ich machte mich wieder auf den Weg nach Hause.

9. Sitzung

Nach meiner letzten Nachtschicht fuhr ich froh gelaunt an diesem Mittwochnachmittag zum ersten Mal im neuen Jahr nach Berlin, zur vorläufig letzten Sitzung mit Bernhard. Dort angekommen wünschten wir uns erst einmal ein Gesundes Neues Jahr und ich überreichte Bernhard eine schriftliche Zusammenfassung meiner gesamten Sitzungen. Ich erzählte ihm, dass die Weihnachtsfeiertage und Sylvester, was mein Angstproblem betraf, durchaus positiv verlaufen waren. Ich kam zu dem Schluss, dass ich mein Ziel erreicht habe. Also vereinbarten wir keinen weiteren Termin. Bernhard schlug mir eine Abschlusssitzung vor. Ich willigte ein, machte es mir bequem und es konnte losgehen. Nach der üblichen Eingangsphase, sollte ich mir dann einen Berg vorstellen, nachdem ich auf einer Welle am Ufer gestrandet war. Vor mir sah ich die Silhouette eines Berges im Abendrot. Auf der Spitze tanzte dann lustiges Männchen herum, das mich ein bisschen an Rumpelstilzchen erinnerte. Bernhards Stimme führte mich auf den Berg. Dabei sah ich mich aber nicht in jetziger Gestalt, sondern als älteren Herrn in kurzer Jeanshose und Muskelshirt. Meine Haare waren etwas länger und grau und ich hatte auch einen grauen Bart. Meine Haut war braungebrannt und für mein Alter sah ich wirklich gut aus, wie jemand, der schon seit Jahren auf dieser Insel lebt. Am Strand traf ich eine Menge Freunde, die in einer langen Reihe nebeneinander standen. Als ich mich aufmachte, den Berg zu besteigen, sahen sie mir nach und applaudierten bzw. feuerten mich an. Nach einem kurzen Aufstieg legte ich all mein Wissen als Steine auf einen großen Haufen. Er war ordentlich gestapelt und sah wie eine Pyramide aus. Ich ging weiter bergauf und legte bald darauf all meine Fähigkeiten als Holzstücke auf einen Stapel. Auch dies bereitete mir keinerlei Probleme und alles lief recht zügig ab. Dann hatte ich auch schon den Gipfel erreicht und mein Name wurde zu einem blauen Vogel, der aus meiner Hand in Richtung Himmel flog. Auf diesem Gipfel traf ich viele Freunde und Verwandte oder auch Verwandte von Freunden. Alle schienen eine große Familie zu sein, obwohl sie sich im wahren Leben gar nicht kennen bzw. nicht mehr mögen. Sie wirkten auf mich, wie eine mächtige Armee, die mir den Rücken stärkte und deren Anführer ich zu sein schien. Ich fühlte mich frei und sah aus der Vogelperspektive, wie ich stolz auf dem Gipfel des Berges stand. Abstieg vollzog sich in umgekehrter Reihenfolge wie der Aufstieg. Das heisst, der Vogel kam zurück und ich bekam einen Namen. Ich sammelte die Holzstücke wieder ein und bekam meine Fähigkeiten zurück, ja ich schien mich geradezu damit zu bewaffnen, um in eine Schlacht zu ziehen. Gleiches geschah auch bei den Steinen, aus denen ich mein Wissen sog. Am Fuß des Berges angekommen sah ich auf das weite Meer und ich hatte das Gefühl, dass noch soviel vor mir liegt, wie ich Wasser sehen konnte und ich blickte mich zum Abschied noch einmal zum Berg zurück, sprach ihm eine Art Dank aus, wie einem Mentor. Mit diesem Bild verabschiedete ich mich von meiner Innenwelt und begab mich langsam in die reale Welt zurück. Ich fühlte mich sehr entspannt und ausgeruht, wahrscheinlich auch durch die Gewissheit, zwei arbeitsfreie Tage vor mir zu haben. Ein bisschen traurig, aber gespannt auf meine weitere Zukunft verließ ich Berlin.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass mir diese Therapieform in kürzester Zeit geholfen hat, mein Problem zu erkennen und zu bearbeiten. Natürlich muss ich weiterhin an diese Angst denken und das wird wohl noch eine Weile so sein. Aber der Blickwinkel hat sich geändert und ich weiss jetzt, wie ich in Zukunft damit umzugehen habe, um endlich das Leben genießen zu können. Und den Rest macht dann die Zeit...

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